Helmut Lander

Ende der vierziger Jahre akademisch ausgebildet in Wandmalerei und Zeichnung, entdeckt Lander in den späten Sechzigern das plastische Arbeiten in Eisen, Bronze und Aluminium für sich als eines der wichtigsten Ausdrucksmittel

Die breite Anlage seines einfühlsamen künstlerischen Vermögens zeigt sich schon früh in den öffentlichen Auftragsarbeiten, mit denen er bereits zu Beginn seiner Karriere als noch nicht einmal Dreißigjähriger im Bereich der Glaskunst brilliert. So gestaltet er Mitte der fünfziger Jahren die Fenster der Frankfurter Weißfrauenkirche; 1959 entstehen die Betonglasfenster der Christuskirche in Bochum, die zugleich seinen künstlerischen Durchbruch markieren. Viele weitere Arbeiten folgen im öffentlichen Raum, wo es stets darum geht, mit der bildnerischen Kunst auf die sie umgebende Architektur zu reagieren und integraler Bestandteil dieser zu werden. Seine Betonglasfenster besitzen selbst architektonische Funktion, insofern sie ganze Wandpartien gestalten und sind somit über das Glasbild hinaus Teil der Architektur.

Doch auch als Grafiker, Fotograf und Filmemacher sowie als Autor und Gestalter von Buchpublikationen weiß Helmut Lander zu überzeugen. Ein Universalkünstler, der nahezu jede Form visuellen Ausrucks erprobt und für sich weiterentwickelt hat.
Nach sechs Jahrzehnten künstlerischen Wirkens, sehen wir uns daher heute einem überaus facettenreichen Oeuvre gegenüber, dessen jüngste Arbeiten nur wenige Wochen und Monate zurückliegen. Umso mehr freuen wir uns, Ihnen in unserer diesjährigen Herbstausstellung einen sowohl inhaltlichen als auch formalen Querschnitt aus dem Werk Helmut Landers präsentieren zu können. Besonders freut uns dabei, Ihnen auch ganz aktuelle Arbeiten – sowohl Ölbilder als auch Kleinplastiken – des beinahe 83- Jährigen zeigen zu können, die erst kürzlich entstanden sind.

Vielfalt und Konsequenz


Das in den visuellen Ausdrucksformen vielfältige, jedoch konsequent von thematischen wie formalen Leitlinien durchzogene Werk des Darmstädter Künstlers lässt sich besser verstehen, wenn wir uns die biografischen Bezüge der einzelnen Entwicklungsphasen seines Schaffens vergegenwärtigen.
1924 in Weimar geboren, blieb Helmut Lander, wie er selbst einmal sagte, „die Gnade der späten Geburt versagt.“ Vielmehr musste er nach dem Notabitur vier Jahre Krieg und Gefangenschaft erleben. Jahre, die seine Weltsicht für immer geprägt haben: „Unbequem, lästig zu sein, immer wieder zu hinterfragen, quer zu denken", so der Künstler, „sehe ich als Verpflichtung meiner Generation, der wir ohne Verbitterung und Resignation gerecht werden sollten."


Auch wenn Lander schon als Kind stets zeichnete und malte, so eignet er sich doch erst in der amerikanischen  Kriegsgefangenschaft mehr und mehr zeichnerische und malerische Fähigkeiten an. Schließlich lässt er sich dort selbstbewusst als „Maler" in die Berufsliste der Gefangenen eintragen. Der Entschluss, Maler werden zu wollen, steht unter dem Eindruck von Krieg und Gefangenschaft fest. Der ursprüngliche Plan des 1942 zur Luftwaffe eingezogenen jungen Mannes, einen technischen Beruf im Bereich der Luftfahrt zu ergreifen, hat seine Unschuld verloren und wird fallen gelassen. Konsequent studiert Lander an der Hochschule für Baukunst und Bildende Kunst in Weimar Wandmalerei und Zeichnung.

Den Vertretern des ofiziellen „sozialistischen Realismus“ missfällt jedoch Landers vom Weimarer Bauhaus inspirierte Kunstauffassung. Seine Arbeiten werden teils als „westlich dekadent" abqualifiziert. Als Helmut Lander 1950 sein Kunststudium in Weimar mit der Diplomprüfung für Wandmalerei abschließt, hat auch er sich entschlossen, wie schon zuvor viele seiner Lehrer aus der Weimarer Bauhauszeit, die sich formierende DDR zu verlassen. Seine Entscheidung basiert auf der grundsätzlichen Überlegung, sich frei von jeglichem politischen Diktat künstlerisch entwickeln zu wollen. Nach seiner Kriegserfahrung will Lander nun nicht erneut von ideologischen Scheinwerten missbraucht werden und kritiklos im totalitären Staat funktionieren. 


Neubeginn in Darmstadt
Es ist dann der Zufall, der Helmut Lander 1951 nach Darmstadt führt: Ein mit ihm befreundeter Architekt hatte ein halbes Jahr zuvor in Darmstadt den Neubeginn gewagt. Darmstadt ist Landers Anlaufstelle im Westen, der er bis heute treu geblieben ist.
Dort schließt er sich 1952 der nach dem Kriege neu gegründeten „Neuen Darmstädter Sezession“ an, deren Vorstandsmitglied er bis 1987 ist. Die „Neue Darmstädter Sezession" geht auf die bereits 1919 gegründete „Darmstädter Sezession" zurück. Damals hatten Künstler, die sich selbst als radikal bezeichneten – darunter Max Beckmann, die Vereinigung mit dem Ziel gegründet, „die längst erforderliche Reinigung (der Kunst) von bourgeoiser Verschmutzung zu vollziehen." Noch heute ist Helmut Lander Mitglied der Künstlervereinigung und nimmt regelmäßig an Gemeinschaftsausstellungen auf der Darmstädter Mathildenhöhe teil.

Neben freien künstlerischen Arbeiten ist Lander in seiner ersten Zeit in Darmstadt in einer Glashütte tätig, wo er vor allem die Mosaikproduktion verantwortet. Die Verbindung von freier und angewandter Kunst zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch das Werk des Künstlers.

Von der Malerei zur Plastik 
Als Lander 1955 den öffentlichen Auftrag für die Gestaltung von Glasfenstern in der Frankfurter Weißfrauenkirche erhält, ist sein wichtigstes Medium zu dieser Zeit noch die Ölmalerei, die er auf Leinwand und Hartfaser ausführt.

Schon damals thematisiert er vor allem das menschliche Gesicht und den weiblichen Körper in expressiv- kubistischer Figuration. Dass Lander jedoch stets parallel in verschiedenen künstlerischen Disziplinen arbeitet und seine unterschiedlichen visuellen Ausdrucksmöglichkeiten dabei kongenial zu verbinden weiß, verdeutlicht der 1959 von ihm gewonnene Wettbewerb für die Betonglasfenster der Christuskirche in Bochum. So besitzen die von ihm gestalteten Fenster sowohl malerischen Farbklang als auch plastische Struktur, sodass in zweierlei Beziehung eine künstlerische Reaktion auf die vom Architekten gegebene räumliche Situation stattfindet. „Das Besondere an der gestalterischen Arbeit Landers ist", so der Architekt des Projekts Dieter Oesterlen resümierend, „dass er gleichzeitig Maler und Bildhauer ist. Diese Doppelbegabung trifft sich in hervorragendem Maße an den Kirchenfenstern aus Glas und Beton."

Ende der sechziger Jahre entdeckt Helmut Lander die Plastik für sich, sodass schließlich Mitte der siebziger Jahre bei ihm die formale Konzentration auf das plastische Arbeiten im Zentrum seines Schaffens steht. Auch hier fokussiert er wieder die Darstellung des Menschen, vor allem die des Kopfes. Themen, die bereits aus Landers Frühwerk bekannt sind und nun im Medium der Plastik wieder aufgegriffen werden.

Besonders interessant ist an den Eisen-, Bronze- und Aluminiumplastiken Helmut Landers, dass diese häufig beweglich und somit in ihrer Gestalt veränderbar sind. Der Betrachter wird geradezu aufgefordert, selbst Hand anzulegen und buchstäblich die Zusammensetzung des Kunstwerks nachzuvollziehen. „Durch Aufteilen, Zerlegen und die maschinenhafte Konstruktion, die die Köpfe sich durchdringen und bewegen lassen", so der Künstler selbst, „wird über das schöpferische Spiel vom eigenen Schaffensprozess etwas weitergegeben an den Betrachter." In der Tat erscheinen die Figuren bei Lander fragmentarisch, sind die Plastiken in Einzelteile zergliedert.Vor allem seine Kopf-Plastiken sind es, die Helmut Lander geradezu analytisch in Schnitte zerlegt und gegeneinander verschoben neu arrangiert. Grundformen dieser Köpfe sind jeweils Kubus und Kugel, die er nach dem Prinzip der Destruktion aufspaltet und in ihren Fragmenten kombiniert. Die Themen physiognomischer Veränderung und psychischer Befindlichkeit werden auf diese Weise prägnant ins Bild gesetzt. So hat Lander in seiner Brunnenplastik vor der Landeszentralbank in Darmstadt eine halbe Bronzekugel zerschnitten, aufgespalten und zu Köpfen stilisiert. Scheinbar willkürlich gesetzte Schnitte und Linien, die Körper- und Gesichtsformen zergliedern, fungieren dabei in den Werken Landers nicht selten als Kanten eines tatsächlich zerlegbaren Ganzen.

„Der Bildhauer", so Lander, „löst aus dem Metallblock die Form, differenziert sie, rundet, schleift, lässt inein- andergreifen, formt jedes einzelne Stück durch, fügt es zum Ganzen und legt den Gestaltungsprozess offen dar: nachvollziehbar." Gerade mittels der Klein- und Reliefplastiken, die wir Ihnen in Schwalbach zeigen, lässt sich der Umgang mit der Kunst Helmut Landers ganz praktisch aus- probieren und erfahren. Der bildnerische Zugang Landers kommt in den Plastiken besonders hinsichtlich seiner Materialbehandlung von fast schon grafischer Qualität zum Ausdruck. Auch sind Materialsymbiosen für Helmut Lander charakteristisch. Er verwendet den Abguss einer alltäglichen Styroporverpackung, um daraus die Bühne oder die Arena für darin eingestellte bleierne Figurine zu konstruieren. Neben diesen kleineren plastischen Arbeiten werden mit den so genannten „Baumcollagen" auch größere Installationen im Außenbereich der Galerie zu sehen sein. Der Künstler greift die surrealistische Tradition vom „gefundenen Objekt" auf, indem er Aluminium- und Bronzeabgüsse von Zweigen und Ästen nimmt. Die naturhaft vorgegebenen Formen unterzieht er dabei gleichsam einer Metamorphose und arrangiert sie zu figuralen Szenen voller dynamischer Stärke und innerer Spannung. So unterschiedlich sich das Werk Helmut Landers über die Jahrzehnte auch präsentieren mag, die persönliche Handschrift und Erkennbarkeit des Künstlers bleiben in seinen Arbeiten über die verschiedenen schöpferischen Phasen und Materialien hinaus stets erhalten. Das Prinzip etwa, Figuren kubistisch zu zergliedern, das in den Plastiken der achtziger Jahre zum bestimmenden Moment wird, ist bereits in Landers Malerei der fünfziger Jahre angelegt. Der Kopf und der menschliche Körper sind ebenfalls seit dem Frühwerk des Künstlers als thematische Leitlinien präsent und erfahren lediglich in den Kopf-Plastiken und physiognomischen Zeichenstudien der achtziger und neunziger Jahre ihre vorläufig stärkste Ausprägung. Auch knüpft Lander mit dem 1994 fertig gestellten „Ökumene-Fenster" in der Stadtkirche von Friedberg an seine Tradition mit der Glaskunst an, die ihn seit frühester Zeit in Darmstadt und dann über viele Jahre beschäftigt. Genauso, wie sich die Zeichnung allgemein gleichsam als Grundform bildnerischen Ausdrucks beständig durch das gesamte Werk des Künstlers zieht und ihren Höhepunkt in den Zeichnungen weiblicher Akte aus den neunziger Jahren erfährt, die er mit Eisen- und Bronzeplastiken zur Werkgruppe „Starke Frauen" zusammenfasst.